Warum wurde Hildegard von Bingen nicht als Hexe geächtet?

Betende Jungfrau

Diese Frage ist legitim und wurde mir bereits des Öfteren gestellt. Hildegard von Bingen war eine Äbtissin und lebte ungefähr 1098 bis 1179. Sie ist eine der wenigen Frauen, welche zu diesem Zeitpunkt die Fähigkeit zu schreiben und Pergament besaß. In vielen Quellen wird sie als sehr resolute Frau bezeichnet, um es freundlich auszudrücken. Medizinhistoriker gehen davon aus, dass sie ganz irdisch unter schwerer Migräne mit Aura litt, jedoch aus diesen Absencen ihre göttlichen Eingebungen formulierte.  Der weiten Verbreitung ihrer Schriften kam zugute, dass sie die Pflanzen beim deutschen Namen und nicht ausschließlich in Latein benannte. Dem beginnenden rationalen Einsatz von Heilpflanzen setzte sie eine Theorie entgegen, die eine Heilung ausschließlich an den Glauben bindet. Der Begriff der „Hildegard-Medizin“ ist erst 1970 aus Marketinggründen geschaffen worden. Ihr Schaffen ist dennoch als wichtige Leistung zu betrachten, gibt es doch einen umfassenden Eindruck der damaligen Kräutermedizin. In ihrem Hauptwerk, der Physica, beschreibt sie neben lustfördernden auch abortiv-wirksame Rezepte. Nicht verwunderlich, denn das Zölibat wurde erst 1139 von Papst Innozenz dem 2. aufgestellt.

Im 13. Jahrhundert beschrieb Thomas von Aquin detailliert die magischen Praktiken der Hexen, zum Beispiel den Pakt mit dem Teufel, die Hexenluftfahrt, die Tierverwandlung oder das Wettermachen. In seinen Augen waren Hexen schadensbringende Weiber. Als renommierter Denker legte er damit den theoretischen Grundstein für die spätere Ächtung von heilkundigen Frauen . Mit der Veröffentlichung des Hexenhammers im 15. Jahrhundert, fast 300 Jahre nach dem Tod der Äbtissin, begannen massenhafte Hexenverbrennungen.

 

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