Als klinische Pharmakologin sehe ich den Trend immer mehr mit Sorge. Einerseits sind die diversen Pülverchen, Kapseln und Pillen eher überflüssig, denn sie können weder eine gesunde Kost noch ausreichend Bewegung ersetzen. Ein Kollege postulierte das in der Regel nur sehr teurer Urin entsteht, denn der Körper nimmt die streckenweise überdosierten Präparate nicht auf, sondern schleust diese über den Urin sofort wieder aus. Andererseits können diese Präparate Schaden anrichten. Bereits mehrfach fielen in meinen klinischen Studien gesunde Frauen durch krankhafte Veränderungen der Leberwerte auf. Genaue Nachforschungen ergaben dann, dass scheinbar harmlose Nahrungsergänzungsmittel eingenommen wurden.
Ein genauerer Blick auf die rechtlichen Bestimmungen lohnt sich. Nahrungsergänzungsmittel, functional food, novel foods, botanicals und und und unterliegen nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern dem Lebensmittelrecht. Die Grauzone beginnt bereits an dem Punkt diese als Pillen zu verkaufen – im Aussehen an ein Arzneimittel anzupassen. Innerhalb der EU sind sogenannte health claims – Aussagen zur Gesundheit klar reguliert. Aber, das gilt lediglich für das Produkt selbst. Welche Aussagen zu dem Produkt, beziehungsweise zu den Inhaltstoffen auf einer Webseite erklärt werden, gehört nicht dazu. Es ist ein häufiges Geschäftsmodell auf einer Webseite Aussagen über die Wunderwirkungen einer Pflanze oder bestimmter Vitamine und Mineralstoffe zu treffen und dann in einem Shop, das Produkt zu verkaufen. Entsprechend der Lebensmittelverordnung stehen darauf dann nur noch die Inhaltstoffe. Rechtlich legal, oft zum Schaden der Verbraucher. Hilfreich für den Verkauf sind auch die Produktnamen, welche eine bestimmte Assoziation des Käufers wecken.
Das der Verbraucher sich besser fühlen kann, wenn er die Produkte einnimmt ist ein Phänomen, welches als Placeboeffekt bekannt ist – und auch in wissenschaftlichen Studien vorhanden ist – zwischen 20 – 40% kann dieser erreichen, in Abhängigkeit vom Symptom.
Nun mögen mir manche an dieser Stelle mein eigenes Mantra entgegenhalten, welches ich gegenüber medizinischen Strömungen pflege, welche ich aus meiner Rationale nicht verstehe: „Wer heilt, hat recht!“ Aber häufig wird hierbei nur der Kontostand geheilt, und zwar der des Vertreibers. Dem Verbraucher schadet es im besten Falle nicht.
Hier eine Bewertung der Inhaltstoffe eines Produktes, welches Frauen um die 40 einen lustvollen Alltag bescheren soll.
INHALTSSTOFF | MENGE
pro TAG |
BEWERTUNG |
Macawurzel-
extrakt 5:1 |
1000 mg | Macawurzel stammt ursprünglich aus den Anden. Die peruanischen Ureinwohner aßen hiervon durchschnittlich 100 gr pro Tag. Hoher Gehalt an Eisen und auch Jod machten die Wurzel für die Bewohner des Hochlandes besonders wertvoll.
Die bisherigen pharmakologischen Daten zu Maca wurden mehrheitlich im Tiermodell erhoben, dennoch gibt es seit vielen Jahren einen Hype um die Pflanze, welcher zu einem starken Anstieg des Anbaus, vor allem in China geführt hat. Hierbei sind Rückstände von Pestiziden ein großes Problem. Die Datenlage in Frauen ist im Moment nicht eindeutig zu beurteilen: hierfür liegen zu wenig, zu kleine Studien vor, ein großer Teil geht auf einen Autor zurück. Es ist wahrscheinlich, dass Maca in Frauen nach der Menopause eine Verbesserung der Befindlichkeit hervorrufen kann, inwieweit diese auch klinisch relevant ist, kann im Moment nicht beurteilt werden. Die Dosierung in diesen Studien lag bei ungefähr 3 g pro Tag (dem dreifachen der empfohlenen Dosis).Für nicht-menopausale Frauen – die beworbene Zielgruppe wurde kein überzeugender Effekt nachgewiesen. |
L- Arginin | 600 mg | Mit durchschnittlicher Mischkost nimmt ein Mensch pro Tag circa 4 mg dieser essenziellen Aminosäure auf, darüber hinaus ist der menschliche Körper bei Bedarf in der Lage diese selbst zu produzieren. Eine zusätzliche Versorgung ist in der Regel nicht nötig. |
Rohkakaobohnen-pulver | circa 250 mg | 250 mg Kakaopulver pro Tag, das ist nicht viel, so es sich hier um keinen Druckfehler handelt. Das Kilogramm Rohkakao in Bioqualität ist ab 10 Euro zu haben. Der Vorteil von Rohkakao liegt darin das Vitamine der B Gruppe beim Rösten nicht zerstört werden. Bei dieser Menge zum täglichen Verzehr spielt das jedoch keine Rolle. |
Vitamin B5 | 6 mg | Das entspricht ungefähr 100% der täglichen empfohlenen Menge. Es bleibt wohl das Geheimnis der Entwicklerexperten, weshalb dieses Vitamin, neben dem Rohkakao gesondert zugesetzt wurde und nicht die Menge des durchaus gesunden Rohkakaos erhöht wurde.
Aber Vit B5 heißt auch Pantothensäure und dieser ist auf die griechische Sprache zurückzuführen: pantos = überall, als Hinweis darauf, das Pantothensäure in nahezu jedem Lebensmittel zu finden ist und ein Mangel so gut wie nie vorkommt. Allerdings ist es für Nahrungsergänzungsmittel gut, das Pantothensäure auch in höheren Dosierungen kaum giftig ist und schnell über die Niere ausgeschieden wird. So ist die Wahrscheinlichkeit einer Überdosis gering. |
Zink | 3 mg | Bei vegan lebenden Menschen kann ein Mangel entstehen, denn Zink ist in höherer Dosierung vor allem in tierischen Produkten zu finden. Die Versorgung mit Zink in der Nahrung ist häufig nicht das Problem, sondern die Aufnahme in den Körper. Daher ist bei Zink aus der Apotheke auch immer ein Hilfsstoff beigefügt, welcher die Aufnahme in den Körper fördert. (übrigens gibt es die Kurpackung mit 15 mg pro Tag für unter 10 Euro in der Apotheke) Als Faustregel kann gelten: Tierische Proteine fördern die Aufnahme von Zink, Hülsenfrüchte hemmen eine Aufnahme. Die Verzehrempfehlungen des angebotenen Produktes sind Müsli oder Smoothies, vom Zink ist also nicht zu erwarten, dass es in entscheidender Menge aufgenommen wird. |
Schwarzer Pfeffer Extrakt | 2 mg | Es findet sich der Hinweise das 95% davon Piperine sind. Piperine sind Scharfstoffe des Pfeffers. Die Wirkungen, ab 10 mg/d (dem fünffachen der empfohlenen Dosis) sind noch nicht eindeutig beschrieben, angstlösende Komponenten können dabei sein. ABER: Piperine erhöhen die Aufnahme von Medikamenten (Blutverdünner, Hormone) in den Körper, das kann bereits bei 2 mg pro Tag der Fall sein. Eine entsprechende Warnung findet sich auf der Verpackung nicht. |
Fazit: Ein teures Produkt, das in der Verzehrempfehlung unterdosiert ist, um eine nachweisbare Wirkung zu entfalten. Die Zusammensetzung ist nicht schlüssig und auf mögliche Risiken in Verbindung mit der dauerhaften Einnahme von Arzneimitteln wurde nicht hingewiesen.
Zum Schluss ein Hinweis: die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln für Menschen mit chronischen Erkrankungen und permanenter Medikamenteneinnahme ist durchaus gerechtfertigt und hilfreich. Nur das ist ein geringer Anteil der Bevölkerung – Zusammensetzungen und Empfehlungen sollten von Fachpersonen erfolgen und nicht über Dr. Google bezogen werden.
Foto: iStock-1017680574